Interview mit Maria Korneeva, Frontend Technology Lead

Wir haben Maria Korneeva auf der diesjährigen enterJS in Mannheim kennengelernt und sie nach ihren Erfahrungen als Frau in der Tech-Branche gefragt.

Vor zwei Jahren wagte Maria den Schritt in die Selbstständigkeit – heute ist sie als freiberufliche Frontend Technology Lead erfolgreich unterwegs. Den Anstoß dazu gab ihre Teilnahme an der Women Developer Academy, wo sie auf die erfahrene Entwicklerin Martina Kraus traf. Als Mentorin half Martina ihr dabei, offen über Ängste zu sprechen und zeigte ihr Wege auf, diese zu überwinden. Ein erster Auftrag neben ihrer damaligen Festanstellung eröffnete Maria schließlich einen geschmeidigen Einstieg in die freiberufliche Tätigkeit. Seither ist viel passiert: Maria spricht regelmäßig auf Konferenzen im gesamten Bundesgebiet und teilt ihre Erfahrungen mit anderen. In diesem Beitrag gibt sie uns einen authentischen Einblick in ihren Berufsalltag als Frontend Technology Lead – und in ihr Leben als Frau in der Tech-Branche.

Wie hast du deinen Weg in die Tech-Branche gefunden?

„Ich bin eine ‚halbe‘ Quereinsteigerin. Ich mochte schon in der Schule Informatik sehr gerne, wollte studieren, war aber dann zu faul für die Aufnahmeprüfungen. Dazu kommt auch, dass meine Mutter – selbst eine Entwicklerin im Statistikamt  – gesagt hat, dass ich das nicht machen soll, da ich sowieso kurzsichtig bin und ich dauerhaft am Computer sitzen würde. Dass das mittlerweile bei fast jedem Job der Fall ist, hat sie wohl nicht bedacht. Außerdem meinte sie zu mir, dass Tech eine Männerdomäne ist. Deshalb habe ich einfach das studiert, was mir gut gefällt und wo ich sowieso schon eine Aufnahme an der Uni zugesichert bekommen hatte, nämlich Sprachen auf Lehramt. Ich habe schnell festgestellt, dass das nicht so meins ist, habe das Studium aber trotzdem durchgezogen. In Russland – wo ich herkomme – ist es nämlich nicht üblich, den Studiengang zu wechseln. Nach ein paar Jahren am Gotehe-Institut Moskau als Projektleiterin wurde es mir jedoch klar, dass ich lieber programmieren würde. Deswegen bin ich dann nach Deutschland gekommen und habe hier Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt auf Informatik studiert, weil ich Angst hatte, dass ich reine Informatik nicht schaffe. Den Master habe ich berufsbegleitend abgeschlossen und bin damit ins Berufsleben eingestiegen.“

Welche Maßnahmen tragen deiner Meinung nach zu einem inklusiven Umfeld bei?

„Wenn man beim Brainstorming an allen Antworten interessiert ist, sollte man sie am besten asynchron und ggf. schriftlich abfragen – so können alle zur Ideenfindung beitragen und es werden nicht nur die Lautesten gehört. Außerdem sollte man Menschen Zeit zum Nachdenken geben und nicht sofort eine Entscheidung erwarten. So können auch Menschen, die etwas introvertierter sind, über ihre Entscheidungen nachdenken.“

Wie können Führungskräfte Gleichberechtigung am Arbeitsplatz umsetzen?

„Meine Fähigkeiten wurden bislang immer objektiv bewertet. Die Spielregeln wurden im Vorfeld klar kommuniziert, sowie die objektiven Skills, die ich für den Job brauche. Es ging dabei immer um den Beruf, beziehungsweise die Position, nie um das Geschlecht.

Transparenz ist allerdings ein Aspekt, der auf das Ziel Gleichberechtigung einzahlt. Bei meinem letzten Arbeitgeber wurde eine neue Führungsebene geschaffen und es wurde an alle kommuniziert, dass sie sich hierfür melden können, wenn sie Interesse haben. Hier wurde dann nur nach Skills und einer Bewertungsskala bewertet.

Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass man Menschen anspornt und sie motiviert. Gerade Frauen trauen sich weniger häufig als Männer, als Speakerinnen auf eine Bühne zu treten und sichtbarer zu werden. Ein Mentor oder Coach, der sie dabei an die Hand nimmt und motiviert ist da Gold wert. Man könnte z.B mit einem gemeinsamen Vortrag starten. Nervosität ist berechtigt und normal, deswegen kann man sie einfach gemeinsam angehen und verunsicherten Menschen eine Hilfestellung geben. Irgendwann kommt dann der Punkt, dass man allein ohne Mentor auf die Bühne treten kann.“

Leidest du unter dem Impostor-Syndrom?

„Ja, auf jeden Fall. Ich bin vor jedem Vortrag nervös und bin nach jedem Vortrag erschöpft. Deshalb versuche ich auch noch über die menschliche Schiene Leute aufzubauen, damit sie wissen, dass sie mit ihren Ängsten nicht allein sind. Bei meiner ersten Konferenz waren auch ein paar Google Mitarbeiter dabei und ich war plötzlich so nervös. Als ich dann mit ihnen ins Gespräch gekommen bin und sie meinten, dass auch sie unsicher sind, ob ihre Präsentation gut sei, war ich etwas beruhigt. Da habe ich gemerkt, dass wir alle Menschen sind und trotz jahrelanger Erfahrung nervös vor einem Vortrag sein können. Natürlich ärgert es mich, wenn ich eine zittrige Stimme auf der Bühne habe, aber ich weiß, dass das normal ist und ich damit nicht allein bin. Es hilft, die Nervosität zu akzeptieren und sie lieben zu lernen.“

Wie hast du das Selbstbewusstsein in deine Fähigkeiten aufgebaut?

„Tatsächlich erinnere ich mich an einen besonderen Aha-Moment. Ich musste im Rahmen der Woman Development Academy eine Liste meiner Errungenschaften, Vorträge usw. zusammenstellen. Als ich dann schwarz auf weiß vor mir gesehen habe, was ich bereits gemacht habe, hat sich ein gutes Gefühl in mir ausgebreitet. Ich dachte mir ‚Schau, du kannst es doch wirklich und kannst es sogar nachweisen‘. Oft zweifeln wir an unseren Fähigkeiten und denken uns, man wurde nur eingeladen, weil man eine Frau ist und nicht wegen der Errungenschaften. Dann hat mich aber eine Psychologin gefragt, ob ich denn überhaupt einen Nachweis hätte, dass es so wäre. Ob ich negative Kommentare bekommen habe oder mir jemand gesagt hat, dass etwas fasch ist oder ob ich auf der Bühne ausgebuht wurde? Meistens ist das nicht der Fall, sondern spielt sich im Kopf ab, dass man sich vieles einredet, was gar nicht stimmt.“

Welche Veränderungen wünschst du dir für die Tech-Welt für mehr Chancengleichheit?

„Ich glaube fest daran, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, sich in Themen einzufinden, wenn sie sich dafür interessieren. Man sollte daher Menschen niemals ausbremsen und sie ihren Weg gehen lassen. Was ich mir allerdings vorstellen kann, ist dass man Menschen, die aus untypischen Gruppen sind, Möglichkeiten zum Aufbau ihrer Skills und ihres Selbstbewusstseins gibt. So können diesen zum Beispiel Seminare angeboten werden oder Workshops, um sich die Skills anzueignen.“

Welchen Rat würdest du unseren Leserinnen und Lesern mitgeben, die in die Tech-Branche einsteigen wollen?

„Wenn man sich für etwas interessiert, dann sollte man da in die Tiefe gehen und der Rest kommt von allein. Wenn du wirklich für etwas brennst, dann bist du nicht mehr zu stoppen. Das ist mein Motto und das wünsche ich mir für die ganze Welt. Tue das, was du liebst.“

Liebe Maria, wir danken dir für den ehrlichen Austausch und den Einblick in deine bisherigen Erfahrungen in der Berufswelt. Vernetzt euch mit Maria auf LinkedIn, wenn ihr mehr über sie und ihre Arbeit erfahren wollt.